Diese Geschichte führt uns ins Kloster Heisterbach im Jahr 1237, als Caesarius von Heisterbach an der außergewöhnlichen Lebensgeschichte der Heiligen Elisabeth von Thüringen schrieb.
Caesarius’ Lebensgeschichte ist besonders – nicht nur, weil er als Zeitgenosse Elisabeths für seine Wahrheitsliebe bekannt war, sondern auch wegen der Lebendigkeit, Ehrfurcht und Genauigkeit, mit der er Elisabeths Hingabe an die Armen, ihre Aufopferung und ihren tiefen Glauben schilderte. Er ist, als würde Elisabeth vor unseren Augen lebendig.
Löwenburg, 1237
Ritter Brexger und seine Gattin Marguerite auf der Löwenburg waren inzwischen Großeltern. Gerade besuchten ihr Sohn Remy und seine zwei Kinder die Burg. Henri war sieben, Agnès fünf Jahre alt. Es war so lebhaft wie damals, als Remy und seine Schwester Clémence noch Kinder waren, und die Großeltern freuten sich über jeden Besuch. Vor einigen Jahren war Remy mit anderen rheinischen Rittern auf dem Kreuzzug Kaiser Friedrichs II. ins Heilige Land gezogen, und lange Zeit hatten sie um ihn gebangt. Nach seiner Rückkehr heiratete Remy und wurde Vater von zwei Kindern.
Bettlaken für das Hospital in Heisterbach
„Schaut Ihr zwei, jetzt haben wir auch das letzte Bettlaken ausgebessert“, sagte Burgherrin Marguerite und legte ihre Sticknadel zurück ins Kästchen. „Nun können unsere Burgleute sie zurück ins Kloster Heisterbach bringen.“ Marguerite, eine geschickte Stickerin, übernahm oft Handarbeiten für Heisterbach.
Henri und Agnès hatten ihr Gesellschaft geleistet, während sie die Bettlaken ausgebessert und mit Motiven aus dem Klosterleben bestickt hatte – Fische im Teich, Brot, eine Weintraube, ein Psalter – alles Ideen der Kinder. Die Laken waren dezent verziert, doch alles sah viel freundlicher aus. Dabei hatte Marguerite vom Kloster Heisterbach erzählt: von der großen Abteikirche, dem Hospital, und dem Mönch Caesarius, der viele wunderbare Geschichten schrieb. Es hieß, er arbeite gerade an einer neuen Lebensgeschichte.
Henri und Agnès schauten sich kurz an, dann sagte Henri: „Großmutter, wir würden so gern mit Kloster gehen.“ Marguerite lächelte. Kinder kamen selten in die Abtei, doch die Löwenburger und Kloster Heisterbach waren einander verbunden – der Herr der Löwenburg, Graf Heinrich III. von Sayn mit Gräfin Mechthild ebenso wie Marguerite und Ritter Brexger.
„Das habt Ihr Euch verdient“, sagte sie lächelnd, „aber bitte bleibt draußen, das Innere der Gebäude ist nur für die Mönche. Vielleicht habt Ihr jedochGlück, und könnte durch das Fenster des Parlatoriums einen Blick auf Caesarius erhaschen. Das ist ein Raum im Kloster, wo die Mönche mit Besuchern sprechen.“
Kloster Heisterbach, 1237
Im Parlatorium
An diesem Tag saß Caesarius an einem Tisch im Parlatorium des Klosters und wartete auf seinen Besuch. Die Sonne schien durch die hohen Fenster und ließ die Staubkörner in der Luft wie goldene Funken leuchten. Auf seinem Pult lagen Manuskripte, und neben dem Pult stand eine Vase mit Rosen. Gerade schrieb er eine besonders bewegende Passage nieder, als er Schritte von draußen hörte. Caesarius schaute sich um. Henri und Agnès schauten durch das offene Fenster, die Neugierde hatte die beiden hierher geführt.
Wer war Elisabeth?
„Wir haben Euch Bettlaken für das Hospital gebracht“, sagte Agnès schüchtern. „Unsere Großmutter Marguerite schickt sie. Aber was schreibt Ihr da?“ Staunend blickte sie auf all die Manuskripte.
Caesarius lächelte und legte seine Feder zur Seite. „Ich schreibe die Lebensgeschichte der Heiligen Elisabeth von Thüringen“, erklärte er geduldig, „eine sehr besondere Frau, die ihr Leben den Armen und Kranken gewidmet hat. Kommt nur herein.“ Das taten die beiden gerne.
Agnès trat einen Schritt näher und betrachtete die fein geschriebenen Zeilen. „War sie eine Königstochter?“ fragte sie mit ehrfürchtiger Stimme. „Ja, das war sie,“ antwortete Caesarius. „Aber sie entschied sich, ihre königlichen Privilegien aufzugeben, um den Bedürftigen zu helfen.“
„Unsere Gräfin Mechthild von Sayn hat sie gekannt, oder?“ fragte nun Henri. Caesarius nickte. „Ja“, sagte er, „Gräfin Mechthild gehört zur Familie der Landgrafen von Thüringen, und verbrachte wohl einen Teil ihrer Kindheit am Hof auf der Wartburg, wo auch die Königstochter Elisabeth von Ungarn seit ihrem vierten Lebensjahr lebte.“
Politische Ehen
Agnès war erschrocken. „Seit ihren vierten Lebensjahr? Da war sie doch ein kleines Kind.“ Wieder nickte Caesarius. „Wisst Ihr, Königskinder werden oft sehr jung verheiratet, um politische Bündnisse zu schließen oder zu stärken, ,und dann früh von ihrer Familie getrennt und am Hof ihres künftigen Gemahls erzogen“, erklärte er. „Elisabeth wurde mit vier Jahren auf die Wartburg geschickt. Als sie neun Jahre alt war, starb ihr Verlobter plötzlich, und man wollte sie zurück nach Ungarn schicken. Doch der Bruder des Verstorbenen erwählte Elisabeth zu seiner Frau. Das war Landgraf Ludwig IV. Elisabeth hat ihren Mann sehr geliebt, die beiden waren sehr glücklich miteinander. Auch die Ehe Ehe eures Grafen Heinrich mit Gräfin Mechthild ist harmonisch, obwohl auch diese der Befriedung einer Fehde diente.“
Das Rosenwunder
Die Kinder hörten aufmerksam zu, und in ihren Augen spiegelte sich die Bewunderung. „Und was hat es mit den Rosen auf sich?“ fragte Henri. Caesarius dachte kurz nach und erzählte ihnen dann die Geschichte des Rosenwunders.
„Als Landgräfin hatte Elisabeth einen sehr hohen Rang“, begann er. „Viele am Hof lebten verschwenderisch, woher all diese Speisen kamen und wer dafür hart arbeiten musste, kümmerte sie nicht. Elisabeth war ganz anders. Sie wollte nichts haben, von dem sie wusste, dass es unrechtmäßig eingetrieben worden waren. Oft brachte sie Lebensmittel von der Wartung hinab zu den Armen. Ihr Gatte Landgraf Ludwig IV. unterstützte sie, gegen großen Widerstand seiner Verwandtschaft. Eines Tages begegnete Elisabeth ihrem Gatten, als sie mit einem unterwegs war, um Lebensmittel an die Armen zu verteilen. Er fragte, was sie darin trug. Als sie das Tuch zurückschlug, lagen Rosen im Korb.“
Remy erzählt vom Kreuzzug
In diesem Moment erschien ihr Vater Remy im Türrahmen. Er war ein junger, kräftiger Mann. Doch seine Augen hatten einen ernsteren Ausdruck, gezeichnet von den Erlebnissen, die er auf den Schlachtfeldern und in den Lagern der Kreuzfahrer gemacht hatte.
Caesarius schaute auf und erkannte ihn. „Seid gegrüßt, junger Mann,“ sagte er freundlich. „Was führt Euch in mein Parlatorium?“ Remy nickte respektvoll und trat ein. „Ich kam, um meine Kinder zu holen. Aber als ich hörte, dass Ihr, Caesarius, die Lebensgeschichte der Heiligen Elisabeth schreibt, musste ich einfach zuhören.“
Caesarius‘ Augen leuchteten auf. „Euer Interesse ehrt mich. Ihr wart auf dem Kreuzzug Friedrichs II., nicht wahr?“ Remy nickte ernst. „Ja, das war ich“, sagte er, „ich war im kaiserlichen Lager, als Elisabeths Ehemann, Landgraf Ludwig, an einer Seuche verstarb. Es war eine schreckliche Zeit, voller Leid und Verlust.“
Caesarius wandte sich ganz Remy zu. „Ihr könnt mir vielleicht Dinge erzählen, die ich sonst nirgends erfahren könnte. Mögt Ihr mir mehr darüber berichten?“ Remy begann zu erzählen. „Ludwig war ein gerechter und tapferer Mann. Wir alle respektierten ihn sehr. Doch im Lager brach eine Seuche aus, und viele Männer starben, unter ihnen Landgraf Ludwig. Sein Tod traf uns schwer, besonders weil wir wussten, dass seine Frau, Elisabeth, ihn sehr liebte und ihn nun nie wiedersehen würde.“
Caesarius lauschte aufmerksam und machte sich Notizen. „Das muss ein großer Verlust für Elisabeth gewesen sein“, sagte er nachdenklich.
Elisabeth als Witwe
Dann erzählte Caesarius weiter. „Nach dem frühen Tod ihres geliebten Mannes geriet Elisabeth immer mehr unter den Einfluss ihres Beichtvaters Konrad von Marburg, eines sehr strengen Mannes. Es kam auch zu Konflikten mit der Familie ihres Mannes, und schließlich musste sie die Wartburg verlassen.
„Stimmt es, dass sie Kaiser Friedrich II. heiraten sollte?“ fragte Henri. „Ja, das ist richtig“, sagte Caesarius. „Ihr Onkel mütterlicherseits, der Bischof von Bamberg, wollte sie tatsächlich mit Kaiser Friedrich II. verheiraten. Elisabeth aber wollte ihr Leben den Armen und Kranken widmen. Von ihrem Witwengut ließ sie ein Hospital in Marburg bauen. Dort pflegte sie als Hospitalschwester vor allem die Schwerstkranken. Sie starb schon mit 26 Jahren in Armut.“ Henri und Agnès schwiegen eine Weile betroffen.
Aufbruch
„Kommt Kinder“, sagte Remy schließlich, „nun stören wir Bruder Caesarius nicht weiter bei der Arbeit.“ „Habt Dank, Bruder Caesarius“, sagte Henri, schaute kurz zu seiner Schwester Agnès, und dann sagte er: „Wir möchten auch etwas Gutes tun.“ Caesarius legte eine Hand auf ihre Schulter. „Ihr könnt auf eure Weise helfen, so wie eure Großmutter es tut. Auch das Ausbessern und Besticken der Laken für das Hospital ist eine wunderbare Tat. Viele unserer Kranken sind sehr arm und haben nie erlebt, dass jemand sie freundlich behandelt. Jeder kann Gutes tun, egal ob groß oder klein.“
Als sie sich schließlich verabschiedeten, erkannte Caesarius wieder einmal, dass die Lebensgeschichte Elisabeths nicht nur von großen Taten und Wundern handelte, sondern auch von den kleinen, alltäglichen Akten der Güte und Nächstenliebe, die das Leben der Menschen um sie herum berührten.
Und vielleicht waren es unerwarteten Begegnungen wie diese, die Caesarius’ Lebensgeschichte der Heiligen Elisabeth von Thüringen so besonders machten.
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