Die Bonner Legion I Minervia

Karte des Römisches Reiches mit Einsatzgebieten der Bonner Legion I Minervia
Karte des Römisches Reiches mit Einsatzgebieten der Bonner Legion I Minervia

Wenn Sie heute im Bonner Norden am Rhein entlang spazieren, werden Sie auf eine Tafel des Erlebniswegs Rheinschiene treffen. Von dort grüßt Julius Proculus, ein Soldat der Legion I Minervia, aus längst vergangenen Zeiten. Ganz in der Nähe befand sich das römische Militärlager, das „Castrum Bonnensia“.

Seine archäologische Überreste offenbaren bis heute viele Geheimnisse aus der Zeit der Römer am Rhein.

Eine neue Legion für den Rhein

Die Legio I Minervia wurde im Jahr 83 n. Chr. von Kaiser Domitian gegründet, um die römischen Truppen am Rhein zu verstärken. Sie ersetzte die nach Mainz zurückverlegte Legio XXI Rapax und sollte die Verteidigung der Region sichern. Der vollständige Name der neuen Legion lautete „Legio I Minervia Flavia Domitiana“ – eine Ehrerweisung an Domitian, den letzten Kaiser der flavischen Dynastie, und an Minerva, die Schutzgöttin der Legion. Viele der neuen Rekruten stammten aus Südgallien und hatten bislang kaum Erfahrungen am Rhein gemacht. Trotz der Verheißungen eines regelmäßigen Soldes und Aufstiegschancen war der Dienst in der Legion anspruchsvoll: Die Männer mussten sich an eine neue Umgebung gewöhnen, in der es oft kalt und feucht war, und sie mussten ständig bereit sein, für Rom zu kämpfen.

Inmitten der umgebenden „Barbaricum“ genannten Gebiete bildeten die römischen Militärlager oft kleine „Kulturinseln“. Hier lebten die römischen Soldaten nach ihrer eigenen Ordnung, mit Tempeln für ihre Götter – besonders Minerva, die Schutzpatronin der Legion –, mit Badehäusern, Tavernen und Märkten. Zahlreiche Weihesteine, Inschriften und Alltagsgegenstände, die in Bonn gefunden wurden, zeugen von dieser römischen Kultur und dem alltäglichen Leben. Die archäologischen Funde liefern Einblicke in religiöse Praktiken und den militärischen Stolz der Legionäre.

Leben und Alltag im Legionslager Bonn

Das Leben der Legionäre war streng durchorganisiert. Das Lager, rechteckig angelegt und von Mauern und Gräben umgeben, war in verschiedene Bereiche unterteilt: das Hauptquartier (Principia), die Residenz des Legionskommandeurs (Praetorium), Kasernen, Werkstätten, Speichergebäude (Horrea) und ein Lazarett (Valetudinarium). Dort, wo heute moderne Straßen und Gebäude stehen, wurden einst Marschbefehle ausgegeben und Übungen abgehalten, die den Alltag der Soldaten bestimmten. Neben ihren militärischen Aufgaben waren die Legionäre auch für Bauprojekte verantwortlich, etwa für den Straßen- und Brückenbau, um die römische Infrastruktur am Rhein zu verbessern.

Trotz des strukturierten Alltags war das Leben hart. Der Legionär Julius Proculus berichtet, dass ihm besonders die Winter schwerfielen, in denen er die warme Sonne Südgalliens vermisste. Neben den Entbehrungen der physischen Arbeit und den Strapazen langer Märsche mussten die Legionäre auch die Isolation am Rande des Imperiums verkraften, weit weg von ihrer Heimat und ihren Familien.

Die multikulturellen Hilfstruppen

Neben der Legio I Minervia waren auch sogenannte Hilfstruppen (Auxilia) im Bonner Lager stationiert. Diese Einheiten, die aus Soldaten ohne römisches Bürgerrecht bestanden, brachten eine große kulturelle Vielfalt ins römische Heer. Die Auxiliarsoldaten kamen aus verschiedenen Provinzen des Reiches und brachten unterschiedliche Sprachen, Kampftechniken und Traditionen mit. Die Aussicht auf das römische Bürgerrecht nach 25 Jahren Dienst diente als Anreiz und stärkte die Loyalität dieser Truppen.

Im Lager und in den umliegenden Siedlungen lebten Menschen aus den verschiedensten Regionen des Römischen Reiches – von Britannien bis Ägypten, was die römische Garnisonsstadt zu einem Schmelztiegel der Kulturen machte. Diese Vielfalt prägte nicht nur den militärischen Alltag, sondern auch das zivile Leben im Vicus, der zivilen Siedlung, die sich um das Lager herum entwickelte

Ein blühendes römisches Städtchen am Rhein

Die Anwesenheit der Legion prägte die Stadtentwicklung nachhaltig; sie hat dazu beigetragen, aus der Garnison am Rhein eine blühende römische Stadt zu machen. Rund um das Militärlager entstand eine lebendige Siedlung mit allen Annehmlichkeiten einer römischen Stadt. Bonn lag an der wichtigen Rheintalstraße, die den Handel und den Austausch von Waren und Ideen erleichterte. Die Einwohnerzahl wuchs, und die Stadt wurde zu einem Zentrum des Handels und Handwerks. Viele Veteranen ließen sich nach ihrer Dienstzeit in der Nähe nieder, gründeten Landgüter (villae rusticae) oder eröffneten Werkstätten, wodurch die römische Kultur in der Region weiter verwurzelt wurde.

Die römischen Gräberfelder, die in der Umgebung gefunden wurden, erzählen von der Integration der ehemaligen Soldaten und ihrer Familien in die Gesellschaft. Auch die Reste von Tempeln und Heiligtümern, die der Legio I Minervia und den Zivilisten dienten, zeugen von der religiösen und kulturellen Vielfalt der römischen Zeit.

Vom Frieden in die Krise

Die Legio I Minervia war an vielen Feldzügen des Imperiums beteiligt. Sie nahm an Domitians Chattenfeldzug teil und kämpfte später in Trajans blutigen Dakerkriegen (101-106 n. Chr.), bei denen das römische Heer bis ins heutige Rumänien marschierte. Sie galt als eine der angesehensten Legionen des Reiches.

Die Zeit von Kaiser Antoninus Pius (138-161) war eine Zeit relativen Friedens, doch es kam zu Aufständen. Eine Vexillation der I Minervia kämpfte bei der Niederschlagung eines Maurenaufstandes in Nordafrika. Die Zeit Kaiser Marc Aurels (161-180) war ein Wendepunkt, denn das Römische Reich wurde in die Defensive gedrängt.

Partherfeldzug und Antoninische Pest

Im Osten des Reiches hatten die Parther um das Jahr 161 n. Chr. eine Offensive gegen die römische Provinz Armenia begonnen und Syrien angegriffen; es gab Krieg. Eine Armee unter dem römischen Kaiser Lucius Verus, der gemeinsam mit Marc Aurel regierte, wurde in den Orient entsandt.

Die Legio I Minervia war eine von mehreren Legionen, die aus den westlichen Provinzen in den Orient abkommandiert wurden. Der Marsch durch Wüsten und Hochländer war sehr beschwerlich, und die Parther waren ein gefährlicher Gegner. An der Front überließen die erfahrenen Generäle und Legionen die tatsächliche Kriegsführung nicht Lucius Verus, sondern taten dies in seinem Namen. Die Legio I Minervia kämpfte unter Marcus Claudius Fronto in Armenien und im Kaukasus und kam bis zum Kaspischen Meer.

Eine andere römische Armee unter Avidius Cassius drang weit ins Partherreich vor, eroberte die Metropolen Ktesiphon und Seleukia, zerstörten den Königspalast und machten nicht einmal vor Tempeln halt. Doch beim Brandschatzen und Plündern infizierten sich die römischen Soldaten, und bald darauf brach eine verheerende Seuche aus, genannt Antonische Pest (165-180). Entlang der Rückwege der Soldaten und der Handelsrouten verbreitete sie sich weiter an den Rhein und bis hinauf nach Britannien. Die Seuche verbreitete sich rasch im gesamten Römischen Reich und kostete Millionen Menschen das Leben, einschließlich vieler Soldaten.

In Bonn wurden den Aufanischen Müttern Weihesteine gewidmet als Dank für das Überleben und die Heimkehr der Soldaten.

In der Armee eines Riesenreiches

Über Jahrhunderte waren die Legionen im ganzen riesigen Römischen Reich stationiert – von den windgepeitschten Küsten Britanniens bis zu den heißen Ebenen Syriens und den Donautälern Dakiens. Römische Lager und Städte wie Bonn und Köln wurden zu Keimzellen der Romanisierung. Doch die Legionen verfügten nicht nur über fähige Kämpfer, sondern auch über gut ausgebildete Ingenieure und Logistiker.

Das Netzwerk der römischen Straßen, die viae militares (Militärstraßen) der Römer verbanden das gesamte Reich und machten den schnellen Transport von Truppen und Nachschub möglich. Die Legionen legten oft in einem Tag etwa 20 bis 30 Kilometer zurück – ein gewaltiger Marsch, wenn man bedenkt, dass sie voll ausgerüstet mit Waffen, Proviant und Baumaterial unterwegs waren.

An den großen Straßen gab es oft Stationen, an denen die Truppen versorgt und übernachtet werden konnten. Auch die kontinuierliche Versorgung der Truppen und die Sicherung der Versorgungslinien war eine gewaltige Herausforderung. Die Legionäre trugen Vorräte für mehrere Tage mit sich – Getreide, das sie selbst zu Brot verarbeiteten, getrocknetem Fleisch, Käse und manchmal Wein. Neben dem Straßenbau waren die Legionen auch in der Lage, Feldlager in kurzer Zeit zu errichten und zu befestigen. Diese Lager waren oft so gut organisiert, dass sie als dauerhafte Festungen genutzt werden konnten.

Ob Legionäre wie der Bonner Julius Proculus nach 20 bis 25 Dienstjahren ihre Heimat wiedersahen? Das ist durchaus möglich, den Südgallien war nicht so weit. Viele Legionäre haben sich vielleicht anders entschieden. Der Ruhestand bedeutete in der Regel, dass sie Land zugewiesen bekamen, wo sie dann eine Familie gründeten und sich als Teil der lokalen Bevölkerung niederließen. Dies war eine Strategie des römischen Reiches, um die Romanisierung der eroberten Gebiete zu fördern und gleichzeitig eine loyalere, romanisierte Bevölkerungsschicht zu schaffen.

Neue Feinde an der Donau

Währed im Römischen Reich die Antoninische Pest tobte, drangen immer mehr  Germanenstämme an die Grenze des Reiches vor. 168/69 überschritten Markomannen und Quaden die Donau, und ein langer, erbitterter Krieg begann. Mark Aurel zog mit den Truppen ins Feld, doch er hatte kaum Soldaten, um die langgestreckte Donaugrenze zu verteidigen. Auch die Legio I Minervia, oder wenigstens Abordnungen, kämpften mit, zwei neue Legionen wurden ausgehoben, doch die gesamte Donaufront wankte, zudem kam es in anderen Teilen des Reiches zu Aufständen und Räubereinfällen. Schließlich wurden die Rekrutierungsbasis erweitert, auch Gladiatoren-Sklaven wurden rekrutiert.

Marc Aurel stand vor gewaltigen Herausforderungen. Seine Zeitgenossen rühmten die Sorgfalt bei den staatlichen Ausgaben und seine vorbildliche Zurückhaltung in der eigenen Lebensführung. Das Kaiserhaus ließ eine Vielzahl wertvoller Gegenstände aus ihrem Besitz auf dem Forum versteigern, um zur Finanzierung der Kriegskosten beizutragen.

In jahrelangen, erbitterten Kriegen gelang es schließlich, die germanischen Angreifer zurückzuschlagen, die verschiedenen Stämme gegeneinander auszuspielen und so die Donaugrenze zu sichern.

Marc Aurels Selbstbetrachtungen

Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte Mark Aurel vorwiegend in Feldlagern. Hier entstanden in den Jahren zwischen 170 und 180 seine „Selbstbetrachtungen“ (Meditationen). Wenn man sie liest, spürt man, dass er Tod für Marcus Aurelius als Kaiser und Feldherr eine ständige Realität war, der er sich mit Würde und Gelassenheit stellte.

In den langen Jahren seiner Feldzüge, besonders während der Markomannenkriege, war er unentwegt mit den Schrecken des Krieges, Krankheiten und Verlusten konfrontiert. Das Leben im Feldlager war hart, und die Sterblichkeit der Soldaten lag allgegenwärtig in der Luft. Diese ständige Präsenz des Todes erklärt auch, warum seine Meditationen so oft um das Thema Vergänglichkeit kreisen. Er nutzte die Philosophie der Stoa, um dem Chaos und der Ungewissheit des Krieges zu begegnen und sich immer wieder zu vergegenwärtigen, dass der Tod ein natürlicher Teil des Lebens ist. Für ihn war es wichtig, sich innerlich darauf vorzubereiten, nicht aus Angst, sondern um das Leben so bewusst und tugendhaft wie möglich zu führen.

Mark Aurel verstarb im März 180 verstarb der Kaiser im Feldlager an der Donaugrenze, in Vindobona (Wien) oder Sirmium, vielleicht an der Antoninische Pest, vielleicht einer anderen Krankheit. Sein Nachfolger Commodus (180-192) schloss einen Waffenstillstand mit den Markomannen.

Zum Weiterlesen
www.livius.org, Legio I Minerva (englisch).

Römerzeit
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