„Separatistenschlacht“ im Siebengebirge

Separatisten und Einwohnerwehr, Himberg, Aegidienberg, Hövel
Separatisten und Einwohnerwehr, Himberg, Aegidienberg, Hövel

Vor 100 Jahren kam es zu erbitterten Gefechten zwischen Separatisten und lokalen Einwohnerwehren* bei Aegidienberg oben im Siebengebirge.

Man liest von der „Separatistenschlacht“. Zwei Einheimische und vierzehn Separatisten kamen dabei um.

„Requirierungen“

Am 25. Oktober hatten die Separatisten auch in Bonn und Koblenz geputscht. Immer wieder brachen sie zu „Requierungsfahrten“ in die landwirtschaftlich geprägten Dörfer der Umgebung auf.

Am 10. November besetzten Separatisten das Rathaus in Linz. Zwei Tage später, am 12. November zog ein großer Trupp weiter nach Bad Honnef. Gegen 23 Uhr marschierten etwa 300 Separatisten in die Stadt ein, durchsuchten Häuser, brachten die leitenden Stadtbeamten in ihre Gewalt und verwüsteten den Kursaal.

Hinweis von der Königswinterer Post

Auch das Königswinterer Postamt war von Separatisten und Franzosen besetzt und wurde scharf überwacht. Trotzdem gelang es den Polizeibeamten, an Separatisten gerichtete Post in die Hände zu bekommen.

Dabei war ein Geheimschreiben der „Rheinischen Regierung“ in Koblenz mit brisantem Inhalt, gerichtet an den Separatisten Gustav Appelmann aus Ittenbach: Bis zum 18. November wollten die Separatisten über Aegidienberg vorrücken, den gesamten Siegkreis besetzten, und dann in Siegburg die „Rheinische Republik“ ausrufen. Noch in derselben Stunde ging über eine nicht überwachten Telefonleitung eine Warnung an die Polizei in Oberkassel und Honnef.

Kämpfe im Siebengebirge

13.11.1923

Auch die Aegidienberger wurden auf geheimen Wegen gewarnt, gerade rechtzeitig am 13. November. Am Abend saßen Bürger aus Aegidienberg und Umgebung in einer Aegidienberger Gaststätte zusammen und gründeten eine Einwohnerwehr.

14.11.1923

Gegen die Zusage der Bauern, sie mit Lebensmitteln zu versorgen, schlossen sich auch Arbeiter der Einwohnerwehr an. Die Leitung übertrugen sie dem Bergbauingenieur Hermann Schneider, einem erfahrenen Frontoffizier. Obwohl das Waffentragen verboten war, sammelte man was immer man finden konnte: Karabiner und Handfeuerwaffen aus dem Krieg ebenso wie Äxten, Knüppeln und Heugabeln.

Am Abend des 14. November 1923 läuteten die Kirchenglocken in Rheinbreitbach Sturm, denn von Unkel rückte ein Trupp Separatisten heran. In der Nähe der Rheinbreitbacher Leonardus-Kapelle stellten sich ihnen Bürger unter Führung des Schriftstellers Rudolf Herzog entgegen – die gewaltsamen Auseinandersetzungen begannen.

15.11.1923

Am frühen Abend des 15. November fuhren zwei mit Separatisten besetzte Fahrzeuge von Bad Honnef kommend in den Aegidienberger Ortsteil Himberg ein. Dort standen dreißig bewaffnete Steinbrucharbeiter Wache. Peter Staffel, ein junger Schmied aus Hühnerberg, trat zu dem ersten Wagen. Er wollte die Separatisten zum Abzug bewegen, doch er wurde sofort erschossen. Die Steinbrucharbeiter eröffneten das Feuer, darauf flohen die Separatisten ins Schmelztal, Richtung Honnef.

Auf dem Weg stießen sie auf die gut verschanzten Truppen Hermann Schneiders, die schlugen sie in die Flucht und erbeuteten die Fahrzeuge. Schließlich sammelten sich die Separatisten bei dem Gasthof Jagdhaus im Schmelztal und forderten Verstärkung an.

16.11.1923

Am nächsten Tag, es war der 16. November, zog eine starke Separatistentruppe durch das Schmelztal hinauf Richtung Aegidienberg. Am Servatiushof teilen sie sich auf. Drei Kolonnen rückten in breiter Front über die Wiesen nach Himberg und Aegidienberg vor. Da standen die Männer der Einwohnerwehr und eröffneten das Feuer so heftig, dass die Separatisten zurück in den Wald flüchteten.

Ein anderer Trupp unter dem Separatistenführer Rang war über den Butterweg in Richtung Hövel marschiert, das nur von drei Männern bewacht wurde. Die Separatisten nahmen sie gefangen. Sogleich eilten die Himberger, Aegidienberger und Oberpleiser Einwohnerwehren nach Hövel und nahmen die Separatisten unter Feuer. Die stellten nun ihre Gefangenen in die Schusslinie. Theodor Weinz kam dabei um; die anderen wurden zum Teil erheblich verletzt.

Die Einwohnerwehren umstellten Hövel und durchsuchen die Häuser nach Separatisten. Mindestens vierzehn Separatisten wurden getötet, die meisten starben durch Axthiebe. Später wurden sie auf dem Aegidienberger Friedhof bestattet.

Am Nachmittag folgte ein weiterer erfolglosen Angriff auf Hövel. Dann erschien der Kommandeur Rang, forderte Aufgabe des Widerstands, Anerkennung der Rheinischen Republik und freien Durchzug nach Siegburg. Die Einwohnerwehren lehnten ab.

Glocke in Oberpleis
Glocke in Oberpleis

Auch Männer aus Oberpleis waren dabei. Am Morgen des 16. Novembers hatte der Bürgermeister einen jungen Mann beauftragt, auf dem Kirchturm die Sturmglocke zu läuten, mit einem Hammer. Aufgeregt wie er war schlug er heftig zu, dabei brach ein Stück aus der uralten Glocke heraus. Sechs Jahre später, 1929, wurde diese Glocke in einen Ehrenmal für die Kämpfer des Weltkriegs auf dem Kirchvorplatz eingefügt.

Samstag, 17. November

Am nächsten Tag waren die Menschen in großer Sorge. Die Männer der Einwohnerwehren versteckten eiligst die Waffen. Französische Besatzungstruppen waren auf dem Weg, und man fürchtete, dass sie sich auf die Seite der Separatisten schlagen und die Einwohner wegen des Tragens von Waffen verhaften würden.

Am Abend besetzten die Franzosen dann Aegidienberg. Sie „verhielten sich außerordentlich korrekt“ und „die Separatisten wurden von ihnen in keiner Weise unterstützt“, berichtete der Zeitzeuge Dr. Rehdantz aus Rottbitze. (Zitiert aus „Separatisten im Siebengebirge“, siehe unten).

Schon in Nacht zuvor hatten französische Truppen Honnef besetzt, die Separatisten verhaftet und im Kurhaus interniert, denn sie sollten die Stadt verlassen.

Das Ende der Rheinischen Republik

Bald darauf war es vorbei mit der Rheinischen Republik. Die Bevölkerung war gegen sie, und ohne die Unterstützung der französischen Besatzungsmacht stand sie auf verlorenem Posten.

In Koblenz trat Matthes am 27. November zurück. Er und Dorten gingen schließlich nach Frankreich. Die „Rheinland-Schutztruppen“ wurden aufgelöst. Wer Glück hatte, bekam von den Franzosen ein wenig Geld und einen Anzug, der Rest blieb seinem Schicksal überlassen. Am 16. Januar 1924 zogen die Separatisten aus Königswinter ab.

In den Jahren danach

In den Berichten aus 1923, so die der Königswinter Zeitung „Echo des Siebengebirges“ ist von „Sonderbündlern“ die Rede. 1924 regte das Reichsinnenministerium bei seinen Beamten an, anstelle dieser harmlos klingenden deutschen Bezeichnung die Separatisten nach ihrer „verbrecherischen Revolte“ auch so zu nennen.

Am 5. Jahrestag 1928 würdigten zahlreiche Beiträgen auch überregionaler Zeitungen die Separatisten-Abwehr des Jahres 1923 als „Schlacht bei Aegidienberg“. Immer mehr stellte man dabei patriotischen Gefühle in den Vordergrund. Zu dem Zeitpunkt regierte im Reich noch einmal eine Große Mitte-Links-Koalition, doch die rechtsgerichtete Deutschnationalen Volkspartei war längst ein feste Größe in der Politik, und Reichspräsident Paul von Hindenburg war ein erklärter Monarchist.

Wieder fünf Jahre später, 1933, waren die Nationalsozialisten an der Macht. Die Ereignisse vom November 1923 gerieten vollendst in die Nazi-Ideologie: eine „Schlacht“, bei der angeblich das Deutschtum verteidigt wurde.

Denkmäler

Auf dem Berg Himmerich sollte ein großes Denkmal entstehen. Zur Grundsteinlegung am 15.10.1933 kamen viele Prominente, unter ihnen der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Dr. Joseph Goebbels. Über den Grundstein kam es freilich nicht hinaus.

1935 wurde vor Ort in Hövel das Denkmal eingeweiht, das wir heute besuchen können.

Hövel, Denkmal
Hövel, Denkmal

Separatistenschlacht im Siebengebirge, zum Weiterlesen
Mein Lieblingsbuch zu dem Thema ist „Separatisten im Siebengebirge“ von Elmar Scheuren und Christoph Trapp, Siebengebirgsmuseum. Vor allem, weil es Zeitzeugen für die Ereignisse sprechen lässt und sauber unterscheidet zwischen dem, was wir wissen, und dem, was vermutet und hineingedeutet wird.
Und auch Jens Klocksin, „Separatisten im Rheinland“, 70 Jahre nach der Schlacht im Siebengebirge.
Bei www.aegidienberg.de gibt es einen Menüpunkt Historisches > Separatisten:
Historische Zeitungsartikel aus der Umgebung von Aegidienberg

Beim Lesen berührt mich immer wieder die Not und Tragik jener Zeit. Es gab viele Bereiche des Lebens, in die Recht und Gesetz nicht hinreichten, wo Willkür und Gewalt herrschten. Männer der „Rheinlandschutztruppen“ wurden zu Marodeuren und Räubern. Ja sogar zu kaltblütigen Mördern – wie Freytag, der den Schmied Peter Staffel einfach erschoss.

Weimarer Republik
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